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Dieser Artikel ist
entnommen dem Musikmagazin für den Hellweg "DICKSCHÄDEL",
07/1998
Ein beliebtes
Reiseziel für Naturfreunde, aber natürlich auch für Musiker
und Musikliebhaber ist Irland. Eine sehr aktive Folkszene findet man dort
und diese äußerst lebendige Musiktradition hat längst
auch auf den Kontinent übergegriffen. Zentrum irischer Kultur, vor
allem auf dem Land, ist der Pub. DICKSCHÄDEL war vor Ort und hat
in einem kleinen Dorf von gerade mal 60 Häusern immerhin drei (!)
dieser Etablissements vorgefunden.
Uns interessierten vor allem zwei Dinge: die Pub-Session und ein typisch
irisches Instrument, die Bodhran.
Noch eine Anmerkung der Redaktion: nicht nur die musikalischen Traditionen
haben sich in Irland für europäische Verhältnisse sehr
unverfälscht erhalten, auch die gesellschaftlichen Konventionen sind
sehr traditionell und dazu katholisch geprägt. Die folgenden Texte
haben wir aus dem Englischen übersetzt. Die Darstellung der irischen
Musiker nimmt bestimmte Formen des Umgangs - auch mit Frauen - ironisch
aufs Korn. Das muss man vorweg vielleicht erwähnen, denn bei aller
Mühe geht die feine, aber doch klare Ironie der Originalsprache in
der Übersetzung vielleicht etwas verloren...
Das Geheimnis
der Bodhran...-...oder warum irische Ziegen sterben müssen
Es gibt viele verschiedene
Bedeutungen des Wortes Bodhran. Einige behaupten, es heiße schlicht
"Taubmacher", eine andere Bedeutung ist "Tablett aus Haut",
was der Wahrheit vermutlich näher kommt. Aber eine Bodhran (['boron]
ausgesprochen) ist, wie seit dem Erfolg von "Riverdance" oder
dem Film "Titanic" wohl jeder weiß, eine irische Trommel.
Keine irische Pub Session wäre vollständig ohne das rhytmische
Schlagen der Bodhran, das die anderen Instrumente begleitet.
Die Wurzeln der Bodhran gehen zurück auf die vorchristliche Zeit
der Druiden und wurde bei kultischen Zeremonien benutzt. Aber auch kriegerische
Stämme verwendeten sie zur Ermutigung der Kämpfer und um den
Feind in Schrecken zu versetzen. Dabei ersetzte den üblichen Doppelschlägel
oft ein Menschenknochen. Immer noch ist die Bodhran ein Instrument des
Schreckens, heute allerdings weniger für Menschen als für Ziegen.
Denn ohne Ziege gäbe es keine Bodhran. Die über den hölzernen
Rahmen gespannte Haut ist eine Ziegenhaut und seit dem aktuellen Bodhran-Boom
ist Irland ein denkbar ungünstiger Aufenthaltsort für Ziegen
geworden. Man könnte sagen, der cineastische Untergang der Titanic
ist gleichzeitig der Untergang der irischen Ziege.
Der Bodhran-Boom
Besonders ein Mann
ist verantwortlich für diese Massenschlachtung. Sein Name ist Malachy
Kearns. Mr. Kearns ist seit 21 Jahren einer der ganz wenigen "full
time bodhran makers". Mit dem Bodhran-Boom ist er ein sehr reicher
Mann geworden. Aus seiner kleinen Werkstatt in Roundstone an der Galway
Bay ist eine Manufaktur mit einer Produktion von 50.000 Instrumenten und
einem Umsatz von 4.000.000 Irischen Pfund geworden. Das entspricht fast
10,4 Millionen Mark. Man stelle sich vor, wie viele Ziegen das sind.
Musiker beklagen, dass diese ursprünglich wundervollen handgemachten
Instrumente nun ein Opfer der Massenproduktion geworden sind - mit einem
Verlust an Qualität und des "general feeling of the instrument".
Mr Kearn dagegen sieht sich mit einem anderen Problem konfrontiert. Ihm
gehen die Ziegen aus. Nach mehreren angeblich "dubiosen" telefonischen
Angeboten über Ziegenfelle hat sich Mr. Kearns entschlossen, seine
eigenen Herden zu halten und hat dafür eine eigene Insel gekauft
- vor Schottland. "Don't shit where you eat!"
Neue Wege
aus Fernost
Einen anderen Weg
sucht man in Fernost.
Umweltschützer sind ausnahmsweise einmal glücklich über
den Einsatz von Plastik, denn in Taiwan werden die irischen Trommeln jetzt
ebenfalls in Großauflagen produziert - mit Kunststoff-Fellen. Laut
Pressesprecher des Irischen Folk Festivals sollen Qualität und Klang
gegenüber den Originalen fast gleichwertig sein. Zu klären bleibt
wohl nur die Frage des "general feeling". Das lässt sich
aber sicher autosuggestiv in Ordnung bringen, wenn man sich beim Schlagen
der Trommel vergegenwärtigt, dass eine Massentierhaltung mit anschließendem
Massaker unter den irischen Ziegen vermieden wird. Menschenknochen sind
heutzutage ja auch verzichtbar geworden.
Die Bodhran aber wurde ein unverzichtbarer Teil der traditionellen irischen
Folk-Szene. Und wenn man nach Abklingen des Booms nur noch so viele Trommeln
produziert werden, wie man auch wirklich zum Musizieren verwendet, bleibt
vielleicht nicht nur die Kunst des Bodhranschlagens erhalten, sondern
auch die der handwerklichen Fertigung - solange es noch Ziegen gibt.
Der Irish
Pub - ein Ort für Musik oder die ungeschriebenen Regeln für
eine erfolgreiche Session
Die Sonne geht unter
über den Bergen Irlands. Die Kühe sind gemolken und bereits
im Stall und auch das, was das fieberhafte Bodhran-Bauen an Ziegen noch
übriggelassen hat, ist auch für die Nacht weggesperrt. Jetzt
kann der Abend beginnen. Eine schnelle Mahlzeit und ein noch schnelleres
Küsschen für die Frau - und dann noch schneller auf dahin, wo
das Guinness bereits wartet, in den Pub.
Die Pubs in Irland dienen einer ganz besonderen Bestimmung. Sie sind mit
ihren gemütlichen Sofaecken, den Lounges, mehr wie ein "Gemeinde-Wohnzimmer",
wie sich schon aus ihrer vollen, korrekten Bezeichnung "Public House"
ersehen lässt. Ein Ort, um sich zu entspannen, Freunde zu treffen,
einen Drink zu nehmen (und einen schlechten Witz über Frauen zu erzählen,
ohne gleich ein Bügeleisen ins Kreuz zu bekommen).
Vor allem aber ist es ein Ort der örtlichen Kultur - und damit natürlich
für Musik.
Der beste
Platz für Musiker
Der beste Tisch in
einem Pub, für gewöhnlich der in der Nähe des offenen Kamins,
ist reserviert für Musiker. Jeder, der mit einem Instrument an diesem
Tisch sitzt, bekommt sofort einen Drink seiner Wahl - natürlich,
ohne ihn bezahlen zu müssen. (Der Schreiber dieser Zeilen hat als
Teetrinker allerdings schlechte Karten in Irland). Dann greift eine Reihe
ungeschriebener Gesetze.
Die erste Regel lautet, dass Musiker mindestens 15 Minuten warten, bevor
sie zu spielen beginnen, um erst mal den Ort, die Atmosphäre und
die anderen Menschen auf sich wirken zu lassen. Die zweite Regel betrifft
die anderen Menschen im Pub. Sobald die Musik beginnt, hören diese
zu - oder sie singen möglicherweise sogar oder klatschen mit. Die,
die "keinen Bock" auf Musik haben und weiter reden wollen, tun
dies mit gedämpfter Stimme.
Gäste
willkommen
Es dauert nie lange,
bis ein weiterer Musiker hereinkommt.
Auch er setzt sich an den Tisch und wartet, die erste Regel beachtend,
wenigstens eine Viertelstunde. Auch, um Atmosphäre zu schnuppern,
aber - wichtiger noch - um den Standard der anderen Musiker zu beurteilen
und zu sehen, oh er im Zusammenspiel führen oder folgen sollte. Wenn
er das für sich entschieden hat, ist der Weg frei zu beginnen. Das
Schöne an diesem Ritual ist, dass es ohne das Gefühl von Konkurrenz
oder gar Arroganz vollführt wird.
Diese Prozedur wiederholt sich den ganzen Abend mit jeder Ankunft eines
neuen Musikers. Diese kleinen Regeln garantieren eine Zeit guter Freundschaft
unter den Musikern und deshalb sehr, sehr gute Sessions. Der Abend zieht
vorbei und bevor man's merkt ist es "closing time". Jetzt ist
es Zeit, sich nach Hause zu trollen. Und wer weiß - wenn man nett
zu seiner Frau ist, kann diese wundervolle Nacht weitergehen, natürlich
im Privaten...
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